Erbschaftssteuerreform?

Ich habe den Artikel in iA Writer «töggeled», der meldet mir nun auch prompt 1'555 Wörter. Vermutlich liest das niemand ;-)

Also Kurzzusammenfassung, ich bin aus folgendem Grund gegen die Initiative:
Sie verstösst für mich gegen das Gebot der Gleichbehandlung, weil sie sich nach einem Freibetrag sofort zu einer Flat Tax von 20% aufschwingt und sich nur gegen eine Gruppe von «den Reichen», also dem Feindbild der Initianten richtet. Zudem ist das Prinzip der echten Rückwirkung (Schenkungen werden rückwirkend auf den 1.1.2012) besteuert) äusserst fragwürdig.

Wer weiterlesen mag… auf eigene Gefahr ;-)

Ich habe versucht, mich vorher genügend zu hydrieren und habe das «Chüssi ufem Fänschterbänkli» frisch ausgeschüttelt.

Und ja, in solchen Sachen bin ich ein ziemlicher Prinzipienreiter. Weil meines Erachtens diese Prinzipien das Zusammenleben einfacher machen.


Warum der Blogbeitrag?

In meiner Timeline auf Twitter tobt eine veritable Schlacht um die, am 14. Juni 2015 zur Abstimmung gelangende, Volksinitiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV», kurz Erbschaftssteuerreform. Wobei der grössere Teil der von mir gefolgten Twitterer linke bis sehr linke Positionen vertritt und diese mit grösster Inbrunst verkündet. 

Ich habe mich versucht zu informieren, was aufgrund der grossen Zahl von Artikeln in den Medien eher aufwändig ist.

Der Titel der Initiative hat mich bereits früh stutzen lassen… Millionen-Erbschaften? Worum geht es denn da genau? Ich habe mir die Mühe gemacht, etwas grundlegender zu recherchieren.

Ausgangslage

Die Wikipedia hat eine ziemlich erhellende Definition für die Steuern:

«Als Steuer wird eine Geldleistung ohne Anspruch auf individuelle Gegenleistung bezeichnet, die ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen steuerpflichtigen Personen auferlegt.».

Dazu abgrenzend: «Gebühren werden hingegen aufgabenbezogen und zweckgebunden verwendet.»

Die Schweiz ist gemäss der Verfassung ein föderalistischer, demokratischer Staat. In diesem Sinne liegt die Hoheit über die Erhebung der direkten Steuern bei den Kantonen. Eine (ordnungspolitisch eigentlich umstrittene) Sonderform ist die direkte Bundessteuer, welche als Kriegssteuer entstanden ist und zu einem Providurium wurde.

Anliegen der Initiative

Die Webseite, welche mich mit der Justitia begrüsst, meint: «Einkommen entlasten, AHV stärken».

Zitat:
«Normalverdienende werden durch Einkommenssteuern, Krankenkassenprämien und Konsumsteuern immer stärker belastet. Vermögen und Kapital werden dagegen entlastet. Der Reichtum ist zunehmend ungerecht verteilt. Die Erbschaftssteuer schafft einen Ausgleich: Weil die Einnahmen für die AHV und die Kantone bestimmt sind, werden Leute mit normalem Einkommen und das Gewerbe entlastet.»
 

Die ersten zwei Sätze könnte ich unbesehen unterschreiben!

Wie ich aus meiner Timeline entnommen habe, müsste ich bei etwas, welches mir mir persönlich Vorteile bringt, unbedingt «Ja» stimmen!

Bin ich denn ein «Normalverdiener»? Ich scheitere das erste Mal, denn ich finde keine Definition für diesen Begriff.

Der letzthin geführten Diskussion um den Mittelstand entnehme ich die Lohngrenzen und stelle fest, dass ich seit ein paar Jahren eher ein Gutverdiener bin. Das verdanke ich einer Anstellung in einer Branche (IT), welche (noch) sehr gut bezahlt und (noch immer) boomt sowie einem tollen Arbeitgeber, welchem ich seit Jahrzehnten die Treue halte.

Gehen wir weiter mit den Argumenten aus der Einleitung. Wenn ich für diese Initiative stimme, werden also Normalverdiener und das Gewerbe weniger Steuern und Abgaben bezahlen müssen? Da müsste man doch dafür sein, oder nicht?

Lesen wir weiter… (Ergänzungen in Klammern von mir), Zitate:

  • Einkommen werden entlastet
    3 Milliarden fliessen in die Kasse von AHV und Kantone
  • Freibetrag von 4 Mio für Paare schützt das Einfamilienhaus
    Ein Ehepaar kann (kaskadiert, 2x2 Mio) das Häuschen (naja, bald eine Villa) steuerfrei vererben
  • Die AHV wird gestärkt
    2 Mia (s.o., 1/3 soll in die Kassen der Kantone) gehen in die AHV und senken den Bedarf für Zusatzfinanzierung (aha, Zusatz!).
  • Die Erbschaftssteuer schützt KMU und Bauern
    99% der KMU sind aufgrund der Freibeträge (welche das Parlament noch ausarbeiten darf) nicht betroffen (es könnten also sogar 99.99% werden). Bauern (egal wie gross der Betrieb!) fallen überhaupt nicht unter die Steuer!
  • Abschaffung der ungerechten kantonalen Erbschaftssteuern
    Heute werden in den Kantonen Erbschaften von nicht direkten Verwandten mit bis zu 49% besteuert. Diese ungerechten (warum sind die ungerecht?) Steuern werden abgeschafft.
  • Die Erbschaftssteuer verteilt den Reichtum der Schweiz gerechter
    Wer Millionen oder gar Milliarden erbt, soll Steuern bezahlen (ausser es sind nur 2–4 Mio, bzw. bei KMU 50–100 Mio, bzw. bei Bauern unbegrenzt). Es gibt keinen Grund, weshalb ausgerechnet Geld aus einer Millionen-Erbschaft steuerfrei sein soll (Widersprüche fallen wohl niemandem auf).

Zusammenfassung der oben genannten Argumente:

  • 2 Mia mehr Geld soll in die AHV gehen
  • 1 Mia soll zu den Kantonen gehen (das entspricht ungefähr den heutigen, kantonalen Erträgen gem. Positionspapier der economiesuisse)
  • Bauern, Firmen (je nach Ausgestaltung des Gesetzes durch Parlament und Regierung), Normalverdienende und Nicht-so-ganz-Reiche kommen davon.

Der ganze Initiativtext findet sich hier.

Meine Situation

Nach heutiger Gesetzgebung wird der Nachlass im Kanton besteuert, in welchem der Erblasser wohnt (also hier Bärn. Sorry, Aargau und Tsüri). Ich bin alleinstehend, mein Erbe fällt in diesem Fall an meinen Vater oder meine zwei Schwestern, allenfalls an meine Nichten und meinen Neffen.

Ich gehe mal von einem Vermögen von rund 250’000 Franken (rein hypothetisch). Falls ich mehr hätte, hoffe ich es durchzubringen oder dass sich das Gesundheitswesen seinen Teil in der Langzeitpflege abzwackt, bevor ich ich abtrete.

Gemäss dem Gesetz über die Erbschafts- und Schenkungssteuer (ESchG) fällt das unter den Höchstsatz (Artikel 18) von 2.5%, was eine einfache Steuer von 6’250 Franken ergibt.

Gemäss Artikel 19 ergäbe das für meinen Vater oder meine Geschwister also eine sechsfache Steuer in der Summe von 37’500 Franken, meine Nichten oder mein Neffe bekämen sogar die elffache Steuer von 68’750 Franken von meinem Erbe abgezogen.

Ist das gerecht?
Ich habe das Geld ja verdient (Einkommenssteuer bezahlt) und es zur Seite gelegt (Vermögenssteuer bezahlt)!

Aber eben, was ist Gerechtigkeit?
Der Gesetzgeber im Kanton Bern wollte es so und das Volk war auch nicht dagegen. Mit diesen Steuern kann der Kanton eine rechtsbürgerliche Landgemeinde unterstützen oder in der linksgrünen Stadt einen Raum für die Sozialhilfe neu streichen lassen. So what, mich kümmert es dann nicht mehr.

Unsere Eltern haben uns immer eingebläut, selber für unser Glück zu sorgen. Sie hatten nie viel Geld (anfänglich bitterlich wenig) und wollten ihr Leben später geniessen. Wir haben ihnen gesagt, sie sollen sich mit dem Geld etwas gönnen, dann hätten wir Geschwister nichts, worum es sich zu streiten lohne.

Ich weiss, auch aus meinem Bekanntenkreis, dass es viele Leute gibt, die mit deutlich weniger Geld auskommen müssen oder auch deutlich mehr verdienen. Ich gehe davon aus, dass meine Situation nicht einzigartig ist.

Weshalb sollen jetzt die Besserverdienenden im Todesfall keine Steuern mehr bezahlen?
Weil jemand anders noch viel mehr Geld hat? Lässt hier St. Florian grüssen?

Disclaimer

  • Gerechtigkeit liegt im Auge des Betrachters, es gibt keinen absoluten Begriff dafür
  • Ich bin für Gleichbehandlung (was nicht Gleichheit bedeutet!)
  • Auch mir unsympathische Menschen sollen Gleichbehandlung erfahren
  • Ich bin sicher, unsympathische, blöde oder gemeine Menschen gibt es in allen Einkommens- und Vermögenslagen! Und umgekehrt findet man auch Hilfsbereitschaft und Grossherzigkeit an unerwarteten Orten.

Meine Schlussfolgerung

Ich lehne die Initiative aus folgenden Gründen ab:

  • Rückwirkungsklausel
    Die Initianten reichen eine Verfassungsinitiative ein und wollen in der Bundesverfassung im Artikel 197, Ziffer 9 in den Übergangsbestimmungen für Schenkungen eine Rückwirkung auf den 1.1.2012 fixieren. Die Sammlung für die Iniative begann am 16. August 2011. Sie wurde am 15.02.2013 eingereicht und einen knappen Monat als «Zustande gekommen» taxiert. Zu der Problematik von echter oder unechter Rückwirkung gibt es diesen Beitrag im Tagesanzeiger.
  • AHV-Sanierung
    Die Initiative gibt vor, die AHV zu stärken (sanieren?). Die 2 Milliarden, welche die Initiative einbringen will, sind aber zu wenig nachhaltig. Der Bund beziffert die Deckungslücke per 2030 auf rund 8 Milliarden. Also wird man wohl doch noch zu einer Anpassung der Mehrwertsteuer und/oder zu einer Anpassung der Beiträge greifen müssen.
  • Fehlende Präzision
    Die Initianten betonen in ihren Argumenten immer wieder, man wolle die KMU bzw. Bauern schonen. Die Freigrenze werde dann vom Parlament ausgearbeitet und könne auch höher als die aktuell vorgeschlagenen 50 Millionen Franken sein. Welche Auswirkungen hätte eine durch das Parlament und die Regierung vorgenommene Erhöhung auf zB 200 Mio? Also will / braucht man das Geld der KMU und der Bauern (ey, das sind ja eh alles arme «Ueli der Pächter»?) gar nicht?
  • Verstoss gegen den Föderlismus
    Die Initiative greift in die Hoheit der Kantone ein. Ich bin bezüglich dem Föderalismus ambivalent. Er hat unbestreitbare Vorteile (man sehe nur die Probleme in Europa mit zentralen bzw. zentralistischen Strukturen). Der «Wettbewerb» der Kantone führt auch zu Anstrengungen, sparsam zu sein.
    Andererseits ist er auf der Seite der Bildung mit den verschiedenen Schulsystemen in den Kantonen auch hinderlich.
    Hier wünsche ich mir einfach eine klare Linie, entweder bekennen wir uns auf allen Ebenen dazu oder wir schaffen ihn generell ab.
  • Willkürlichkeit
    Ich unterstelle dem Initiativkomitee, die ganze Initiative nicht für etwas (zB die Sanierung der AHV) geplant zu haben, sondern sie gezielt gegen «die Reichen» gerichtet zu haben. Der Grund ist ja auch sehr einfach. Steuerinitiativen erreichen in der Schweiz meist nur eine grössere Zustimmung, wenn man selber gar nicht betroffen ist (siehe auch Aufstellung nach Zahlen & Fakten).
  • Gleichbehandlung
    Für mich verstösst die Initiative gegen die Gleichbehandlung. Warum sollen nur die «Reichen» bezahlen, die Vermögenden aber nicht? Ich wäre zu haben, wenn diese Steuer irgendwo bei 100’000 Franken und tiefen Sätzen beginnen würde und sich dann über eine verhältnismässige Progression hochschwingen würde.
    Noch schlimmer, weshalb bezahlt ein Erbe von 2 Millionen Franken die Steuer von 400’000 Franken, aber der Erbe von 1.8 Millionen bezahlt keinen «müden Schtutz»?

Damit man mich versteht, ich stimmte in der Vergangenheit mehrmals Situationen zu, welche mich persönlich schlechter stellten. Einfach weil es ordnungspolitisch Sinn ergab. ZB für die Förderung von Kitas, Schulen und Ausbildung, aber auch für Sanierungen von Infrastrukturen. Von mir aus, kann auch ein Teil meiner Steuern in Strassen fliessen. Obwohl ich kein Auto habe, bringen mich manchmal auch Taxis oder Kollegen nach Hause. Ich glaube also durchaus, über den Tellerrand hinaus sehen zu vermögen.

Also, liebe Initianten, macht etwas Ausgewogeneres und ich wäre dabei. Leider bin ich aus der Klassenkämpferzeit hinausdiffundiert…

Quellen:

  • Tages-Anzeiger / Der Bund
  • Neue Zürcher Zeitung
  • Webseiten des Bundes und der Kantone
  • Webseite des Initiativkomitees
  • Economiesuisse
  • Wikipedia
  • Meine Steuererklärung und mein Lohnzettel

Hilfsmittel:

  • Compi (Macbook Air mit Sigis Bluetooth-Tastatur, wie benennt man die eigentlich um?)
  • iA Writer (schnelle Texterfassung)
  • PivotX, meine Blogsoftware
  • Google (who else)
  • Hirn (eher unzuverlässig)
  • Espresso von Moka Efti
  • Musik von SWR3
Urs Sonntag 17 Mai 2015 - 07:30 am | | default
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zwei Kommentare

Remo
Remo, - 17-05-’15 22:50
Michael Grube
Michael Grube, - 22-05-’15 13:54
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