Lieber Reto (3)

Aus der Reihe der «nie gesendeten E-Mails». In loser Folge (vielleicht) veröffentlichte Erinnerungen und Gedanken.

Nun, Reto, bin ich heute vom Einkauf im lokalen Coop auf dem Heimweg mal wieder in so eine schöne Nachmittagshitze gelaufen, wie damals in Sizilien.

Seit dem letzten Beitrag sind ja beinahe zwei Jahre vergangen. Wieder ein wenig älter, wieder ein wenig weiser?

Ich nehme den Faden wieder beim ersten Beitrag auf. Damals, als wir von unserer Irrfahrt wieder zurück nach Aragona kamen. Der Anschlusszug nach unserem eigentlichen Reiseziel, Gela, fuhr erst gegen 16 Uhr. Klar, es war ja auch Mittagspause. Also sassen wir fast zwei Stunden in der brütenden Mittagshitze fest. Lust, die Stadt zu erkunden, kam bei diesen Temperaturen echt nicht auf. 

Im Bahnhofbuffet gab es zwar guten Caffè, aber die Hitze trieb uns nach draussen, wo wir im Schatten ein wenig den gelgentlichen Rangierfahrten nachschauten, wo der capostazione mit der roten Fahne herumfuchtelte, was bei uns sofortigen Halt bedeutet hätte.

Ob Du Dich noch an den alten Mann erinnerst, der sich dann zu uns auf die Bank setzte? Er hatte nicht mehr viele Zähne, was seinen sizilianischen Dialekt auch nicht verständlicher machte. Ich glaube, Du hast kein Wort verstanden, Dein italienisch war ja eher schlecht. Er erzählte uns von der Zeit um 1940-45, wo er als Partisan mit den Allierten gegen die Faschisten gekämpft hatte. Ich konnte leidlich folgen, ein Vorteil, wenn der beste Schulkamerad und Nachbar sizilianischer Herkunft ist.

Dann war es endlich soweit und wir fuhren weiter, diesmal im richtigen Zug, nach Gela. Diese Stadt war für uns eine ziemliche Enttäuschung. Nicht nur war das Hotel eher zweifelhaft, auch die Raffinierie am Hafen und die Innenstadt war im Vergleich zu Agrigento ein schwerer Rückschritt.

So fuhren wir nach einem Tag mit dem Zug weiter, das Ziel sollte diesmal Siracusa sein. Du hattest aus einem Reiseführer oder von einer Empfehlung her vorgeschlagen, dass wir dort dann nach «Fontane Bianche» fahren sollten, da es dort einen schönen Badestrand gäbe. Tatsächlich fanden wir irgendwo die Bushaltestelle und nach kurzer Wartezeit fuhr ein Bus vor. Wir bezahlten keine tausend Lire (weniger als 1.20 Fr) und dachten deshalb, dass es eine kurze Fahrt würde.

Aber wie wir uns täuschten, es waren rund 20 Kilometer und der Bus fuhr natürlich nicht auf dem schnellsten Weg. Es ging durch Orangenhaine und übers Land und dann standen wir da und überlegten uns, wo wir hier übernachten wollten. Im ersten Hotel, in welches wir gelangten, schaute man uns skeptisch an. Du hattest ja den «Tramper-Rucksack» mit Zelt dabei. Schnippisch teilte man uns mit, man sei «completo». Ich wollte nachfassen, aber Du meintest: «Lass uns zelten gehen».

Ich hatte ja aus früheren Jahren eher gemischte Gefühle, mir kamen da schlaflose, kalte Nächte in nassen Schlafsäcken in den Sinn. Aber der Campingplatz war nicht nur günstig, sondern auch sehr gepflegt. Ich habe versucht, den Ort auf Google zu finden. Ich glaube, es war hier, wo jetzt nur noch ein Parkplatz ist.

Ausschnitt vom Lido di Fontane Bianche aus Google Maps

Wir hatten unser Zelt in Nullkommanix aufgestellt, es war genügend Platz vorhanden. Die Duschen waren sauber und das Warmwasser damals schon solarthermisch aufgezeizt. Am ersten Abend, als Du Dich etwas heftig hinlegtest, platze zwar das aufblasbare Kissen. Aber sonst schliefen wir jeweils selig, bis uns die Morgensonne in der Nase kitzelte.

Ich erinnere mich noch gut an die Situation, als wir das erste mal gemeinsam zum Strand gingen und uns in die Sonne legten. Da war dieser «typische» Macho, welcher sich mit seiner Freundin neben uns sonntes. Er bemerkte Deinen goldenen Ohrring und machte sich über uns vermeintliche Schwule lustig. Er schwang seinen Hintern und sagte: «Vado prendere una doccia! Shampoo, Shampoo!» und feixte uns an. Wir verstanden die Welt nicht, denn damals (1982/83) trugen «normale» Männer selten, aber wenn schon – so wie Du – den Ohrring links. Wir liessen uns nicht beirren und genossen die Abkühlung im Meer.

Nach Einbruch der Dunkelheit gingen wir uns ein günstiges Restaurant suchen. Ich habe keine Ahnung mehr, wo es genau lag oder wie es hiess. Aber ich weiss noch, dass es nach allen Seiten offen war und in der Mitte auf einem kleinen Podest der «Chef / Kassierer» sass. Wir bekamen einen Tisch zugewiesen und studierten die Karte. Du wolltest unbedingt Muscheln essen. Du warst mit Deiner Mutter und Deinen Geschwistern schon mal in Italien in den Ferien gewesen und glaubtest, die Bezeichnung auf italienisch zu kennen. Aber so etwas fanden wir nicht auf der Karte.

Als der Kellner dann kam, bestellten wir uns einen Insalata mista und Du wolltest «Muscoli». Was der Kellner natürlich nicht verstand. Wir verhandelten ein wenig und kamen via Frutti di mare dann auf «Cozze». Wir fanden das töne zwar nicht wohlschmeckend, aber wir wurden eines besseren belehrt. Ich kannte vorher nur «Les Moules Continental» aus dem Restaurant Continental in Quiberon. Dort wurden sie in einer cremigen Sauce serviert. Hier in Sicilia gab es sie aber einfach mit einem Sud aus Weisswein, Zwiebeln und Gewürzen. Sie schmeckten göttlich und der Wein dazu war auch sensationell. 

Irgendwann nach Caffè und ev. auch Dolce bezahlten wir die knapp zwanzigtausend Liren und verliessen das Restaurant. Kaum waren wir draussen, kam uns aber in den Sinn, dass wir ja vergessen hatten, die beiden gemischten Salate zu bezahlen. Also – typisch Schweizer – gingen wir zurück zum «Chef / Kassierer» und ich meinte: «Abbiamo dimenticato di pagare le insalate miste!». Die Reaktion war bemerkenswert. Ok, wir waren ja auch leicht beduselt. «Angelo! Angelooo!», brüllte der Mann durch das Restaurant. Wir dachten, jetzt gibt es irgendwas, Haue oder so. Aber dann erklärte der Kassierer dem Angelo, dass wir zwei feinen Herren vergessen hätten, den Salat zu bezahlen und nun extra zurückgekommen seien, um zu bezahlen. Worauf uns Angelo, der Kassierer und noch ein weiterer Kellner ausgiebig die Hand schüttelten und uns lobten. Offenbar verhielten sich nicht alle Gäste gleich. ;-)

Miesmuscheln, Quelle Pixabay / eujava

Ich glaube, wir blieben etwas zwei Nächte in Fontante Bianche, bevor wir uns wieder vom Acker machten und mit dem Zug weiter nach Taormina fuhren. Aber dazu ein anderes mal.

Heb's guet, Dein Freund und Stifti-Kollege, Urs

Urs Samstag 14 Juli 2018 - 4:30 pm | | default

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