Ich schlief, trotz schlingerndem Zug recht gut. Wach wurde ich schon vor dem Wecker. Die Landschaft draussen war noch in Grautönen. Wir fuhren durch enge Schluchten und durch die Wälder.
Ich war etwas durcheinander, waren wir jetzt schon in der Pacific Time Zone oder noch in Montana? Ah, da ist ja noch Idaho. Warum auch immer ich das in meinem Kopf weiter zur Mitte hin verorten wollte?
Ich wusste, dass der Speisewagen eigentlich eher früh Schluss machen wollte. Nach Plan sollten wir ja auch vor dem Mittagessen in Seattle ankommen. Aber das war ja mit bereits vorhandenen Verspätung, auch unter Reserven gegen Schluss der Reise, nicht mehr aufholbar.
Ich machte mich frisch und hörte dann gerade, dass der Speisewagen schon zum letzten Service aufrief. Wir passierten gerade Sandpoint und überquerten den Lake Pend Oreille.
Ich beeilte mich und zog mich rasch an. Im Speisewagen war ich mal wieder alleine an einem Tisch. Ich wählte den «Signature Amtrak French Toast». In meiner Erinnerung war der früher eher mit Puderzucker. Nun kam er mit Erdbeeren und einer unnötigen und viel zu grossen Portion Schlagrahm.
Das erinnert mich nun grad an meine erste Reise mit meinen Eltern in die USA im Jahr 1993, als wir am ersten Morgen in Salt Lake City Frühstück assen und ich eine Belgian Waffle mit Erdbeeren bestellte. Die war doch mit zwei Zentimeter Schlagrahm bedeckt und meine Mutter fragte mich, ob man denn hier Erdbeertorte zum Frühstück ässe.
Der Zug kann dann irgendwann mit fast sieben Stunden Verspätung in Spokane, Washington State an. Dort wird Wasser und Diesel aufgefüllt. Die Aussentemperatur war bei -11°C. Da das Wetter hier aber sonnig war, wagte ich mich nach draussen.
Ich ging auch ein wenig auf und ab, um den Körper in Bewegung zu bringen. Denn es war nicht nur kalt, sondern es ging auch noch ein wenig Wind und so fror ich trotz dicker Jacke etwas. Natürlich nutzte ich die Zeit auch, um mit dem Bahnpersonal ein wenig zu fachsimpeln.
Der «Empire Builder» wird in Spokane getrennt. Die letzten zwei oder drei Wagen bleiben und fahren danach weiter nach Portland. Der vordere Zugteil fährt nach Seattle, ohne den Aussichtswagen.
Man nutzte die geplante Aufenthaltszeit nicht ganz und fuhr trotzdem mit über sechs Stunden Verspätung aus Spokane auf die letzte Etappe. Da der Zug eigentlich um 11:29 Uhr in Seattle ankommen sollte, hatte ich nicht damit gerechnet, dass der Speisewagen über Mittag offen hätte. Aber zu meinem leichten Erstaunen, hatte man Erbarmen mit uns und servierte nochmals einen Lunch.
Ich bekam dieses Mal wieder eine Tischpartnerin. Die ältere Frau war ebenfalls aus einer Farmerfamilie. Ihr Mann, dessen Grossvater aus Deutschland einwanderte, hatte rund 50 Milchkühe. Wir unterhielten uns also zuerst ein wenig über das Vieh. Ich zeigte ihr auch Bilder von den mir eher bekannten grauen, kleineren Kühen in den Alpen der Zentralschweiz. Sie hatten natürlich eher Swiss Red, also die grösseren vom Schweizer Fleckvieh abstammenden Kühe.
Aber über die Wirtschaft und das Leben kamen wir auch auf Politik zu sprechen. Sonst ja ein heikles Thema, wie ich selbst anmerkte. Aber sie war offen. Sie wähle natürlich die Republikaner, auch wenn sie mit der ollen Nummer 45 nicht viel anfangen kann. Ich versuchte sachte, ein wenig Gegengewicht zu geben. Aber sie meinte, sie verstünde nicht, was all diese Leute, die jetzt in die USA kämen, denn hier wollten. Früher hätten die Leute ja die amerikanische Kultur aufnehmen wollen, aber heutzutage blieben die unter sich. So habe es im Stadtbüro, wo sie ihre Pension anmeldete, ausschliesslich Menschen aus arabischen Staaten (Religionsbezug gelöscht 😬) und die würden jetzt über ihre Pension entscheiden.
Sie denke (wie viele andere Menschen hier), dass immer mehr Geld nach Washington fliesse, dort in den Taschen der Politikern verschwände und nichts ausser schikanösen Vorschriften zurückkämen. Auch verstünde sie nicht, wieso man so viel nach Übersee sende und man dort dann die USA trotzdem hassen täte.
Ich erzählte ihr dann über die Flüchtlingssituation in Europa und dass es halt besser wäre, den Menschen dort, wo sie herkämen, ein gutes Leben zu ermöglichen. Denn freiwillig flüchte ja niemand von seinem zu Hause ins Ungewisse.
Wir wendeten uns dann dem Gesundheitswesen zu. Sie erzählte mir, dass sie diese Opioid-Krise nicht verstünde. Sie bekäme auch ein Medikament aus dieser Gruppe, nähme es aber nur, wenn sie starke Schmerzen hätte. Die neuen Vorschriften zur Bekämpfung der Sucht führe nun dazu, dass sie nur einen Vorrat für zwei Wochen in der Apotheke bekäme. Bei den Wegen, welche die Leute hier zurücklegen müssen, eine berechtigte Sorge. Ich erzählte ihr zum Ausgleich über den Umgang mit Heroinsucht in der Schweiz, was sie sehr interessant fand. Sie findet es zwar merkwürdig, dass Hanf hier legalisiert wird, bekommt aber auch ein leichtes Präparat verschrieben. 🤷🏼♂️
Wir verliessen dann den Speisewagen, da der Kellner (aus dem Tibet stammend, wusste, dass es in der Schweiz viele Exil-Tibeter und -Tibeterinnen hat) und seine Chefin den Laden dichtmachen wollten.
Ich sehnte langsam das Ende der Reise herbei. Es wurde schnell dunkel, während wir weiter westwärts zuckelten. Endlich erreichten wir die Pazifik-Küste im Dunkel und Regen. Von Everett ging es dann der Küste entlang nach Seattle. Vorbei an vielen hell erleuchteten, stattlichen Häusern mit schönen Inneneinrichtungen. Man wohnt hier offenbar gut.
Kurz nach 18 Uhr trafen wir dann mit einer totalen Verspätung von 6 Stunden und 39 Minuten in der King Street Station von Seattle ein. Ein für mich neuer Rekord. Well done, Amtrak! 😜
Angesichts des schitteren Wetters, ein Sturm sandte seine ersten, kräftigen Schauer über die Stadt, beschloss ich ein Taxi zu nehmen.
Der Fahrer stellte sich als Kameruner heraus und wollte mit mir über Embolo und sein Siegestor für eine seiner beiden Heimaten sprechen. Zum Glück habe ich das ganze ja ein wenig über Nachrichten und Schlagzeilen mitbekommen. Einig waren wir uns, dass die FIFA ein korrupter Drecksladen sei und dass wir deren Präsident am liebsten rauswerfen würden.
Das Check-In im Hotel war schnell hinter mir und schon fuhr ich mit dem schnellen Lift hoch in den 32. Stock zu meinem Zimmer.
Das Versprechen der Reservierung: «King Bed Premium Space Needle View» traf voll zu. Wobei man die Space Needle im Lichtermeer schon etwas suchen musste.
Ich ging dann noch ins Hotelrestaurant auf ein gegrilltes Sandwich mit tollen Pommes und einem etwas merkwürdigen Bier, welches ich dann nicht bezahlen musste.
Und endlich konnte ich in mein grosses, breites Bett sinken und ohne Schütteln und Rütteln schlafen. 👍
Der Wecker war nur zur Bestätigung, ich vorher schon in einen leichten Schlaf gewechselt. Ich kriege ja eher genügend Zeit, da ich früh in die Heia gehe.
Der Himmel war grau, der Sturm trieb immer noch neue Regenwolken vom Meer herein. Ich hielt Ausschau nach der Space Needle und konnte sie mit dem iPhone ganz gut heranzoomen.
Nach einer sehr, sehr langen, heissen Dusche trödelte ich im Zimmer herum. Ich räumte ein wenig das Gepäck um und widmete mich meiner Timeline auf Twitter und Mastodon.
Kurz nach Mittag wagte ich mich dann doch noch heraus und suchte den Weg zur Tramhaltestelle. Sehr einfach, nur die Strasse runter und schon steht man an der Rolltreppe der doch etwas verborgenen, unterirdischen Tramhaltestelle «University Street». Google wollte mich noch durch eine versiffte Querstrasse einen Umweg von rund 400 Metern lotsen, keine Ahnung, was das Ding rechnet.
Am Automaten wollte natürlich meine «Revolut»-Kreditkarte wieder nicht. Das Ding ist echt nutzlos hier in den USA. Nur gerade bei der Post und der T-Mobile wurde die Karte akzeptiert, überall sonst hiess es Karte unbekannt. Also bezahlte ich die sechs Dollar für das Tagesticket zum Flughafen mit einer der drei anderen Karten, die ich dabei habe.
Die Fahrt zum Flughafen dauert rund 40 Minuten, danach geht man noch rund 10-15 Minuten zu Fuss durch die Parkgarage und die Fussgängerbrücke bis zu den Schaltern. Draussen herrschte Schneetreiben bei kräftigem Wind.
Ich wollte nur mal schauen, wie die Anreise funktioniert, Abflug ist ja erst am Donnerstag. Und so konnte ich ein wenig in der Wärme des Trams die Stadt anschauen.
Auf dem Rückweg stieg ich eine Station vor dem Baseballstadion aus. Auf dem Hinweg hatte ich da nämlich eine Filiale von Denny's erspäht.
Und so sass ich nach zehn Minuten Marsch durch die graue Vorstadt in einem «Boot» und liess die Bedienung gar nicht gross zu Wort kommen.
Zur heissen Tasse erstaunlich trinkbaren Kaffees brachte sie ziemlich rasch ein «Moons over My Hammy™». Erst nach diesem Traditionsgericht fühle ich mich so richtig angekommen in den USA. 😂🥰
Da ich mich etwas unpässlich fühlte, fuhr ich danach umgehend ins Hotel zurück, wo ich nun seit mehreren Stunden an diesem Artikel schrieb und die Bilder dazu bearbeitete.
Auch dieses Mal zweimal, aber ich habe nun herausgefunden, wo es jeweils klemmt. Kommt davon, wenn man am Quellcode herumfummeln muss, um die Javascript-Bildergallerie zu füttern und irgendwo ein «>» oder «<» zu viel reintut. 🤦🏼♂️
Warum ich mir das überhaupt antue? Wegen den wenigen, geneigten Lesern? 🤔
Nicht (nur), nein, ich nutze es halt auch gerne, um in Erinnerungen zu stöbern, anderen Menschen tipps zu geben. Denn, wenn die Artikel mal von Google indexiert wurden, sind sie recht einfach abrufbar. Einfach in der Google Suchbox eingeben: «site:urs-mueller.ch [Suchbegriff(e)]»
So, das wars mal wieder. Am Donnerstag geht es in den Süden, nach Los Angeles, dort ist das Wetter zwar auch eher grau, aber es ist doch rund 15 Grad wärmer.
Hebed's guet und bis schpöter.