So endete eine kurze Diskussion auf Twitter heute. Ich war sehr wütend und habe die Person mal blockiert. Um es ein paar Minuten später wieder aufzuheben.
Worum ging es? Die von einem Follower retweetete Nachricht besagte, dass Israel ein grosses Rettungsteam ins Katastrophengebiet Nepal entsandt hat. Und der Folgetweet machte dann einen Vergleich zum Einsatz von Deutschland. Ich habe dann geantwortet, dass aus meiner Sicht ein «Grössenvergleich» zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn ergäbe.
Die Person antwortete erst, dass Israel als klitzekleines Land sehr viel leiste. Dann, dass Soforthilfe not tue, egal ob es vor Ort noch viel Durcheinander gäbe. Ich meinte, es sei nicht gut, wenn sich die Leute vor Ort auf den Füssen stehen. Dann kam die Antwort im Titel.
Ich finde es gut und notwendig, zu helfen. Dass Israel hilft, ist vorbildlich. Dass Israel ein klitzekleines Land ist, ist mir als Bewohner eines klitzekleinen Landes bewusst. Dass Israel sehr gut ausgebildete Strukturen für Katastrophen und Notfälle hat (ja, haben muss) ist mir ebenfalls bewusst. Mir ist aber auch bewusst, dass Israel ein hoch entwickelter Industriestaat ist und im BIP-Vergleich auf Rang 37 (Schweiz = 20) abschliesst.
Aber es geht ja gar nicht um Israel, sondern um Nothilfe.
Meine Argumente, welche wohl auf 140 Zeichen bei Twitter nicht angekommen sind:
- Auf Erdbeben folgen meist Nachbeben, in Nepal zB erst heute wieder. Diese Nachbeben können nochmals sehr schlimme Schäden zur Folge haben und auch Rettende gefährden.
- Erdbeben zerstören meist wichtige Infrastrukturelemente wie Brücken, Flughäfen etc. Also wartet man in weit entfernteren Ländern in der Regel, bis vor Ort klar ist, ob man überhaupt Hilfe ins Land und zu den betroffenen Regionen bringen kann.
- Eine der ersten Regeln in der Nothilfe sind: keine Selbstgefährdung, erst dann retten. Bringt sich eine Hilfemission selbst in Probleme, schadet sie nicht nur sich selbst, sondern auch den eigentlich zu Rettenden, indem sie wiederum Hilfe bindet.
- Erste Hilfe ist regional am effektivsten, deshalb hat ja auch Indien sofort gehandelt. Bis wir erfahren haben, was los ist und dorthin geflogen sind, sind die Retter der umliegenden Gebiete schon im Einsatz.
- Hilfe ist eine humanitäre Verpflichtung, aber kein Wettbewerb. Hier gibt es nichts zu gewinnen! Ausser man sucht Prestige, was ich niemandem unterstellen will (auch wenn es leider vorkommt).
Mir sind leider noch viel zu viele Bilder im Kopf von Materiallagern, welche vor sich hinmodern und nie den Weg zu den Hilfebedürftigen gefunden haben.
Ein «rant» vom grumpy old man!
Meine Twitter-Timeline und meine Facebook Neuigkeiten sind aktuell voller Meldungen über die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer.
Selbstverständlich sind *wir* empört, dass Menschen ums Leben kommen und die *Anderen* nichts dagegen tun! Geht gar nicht, wie haben *wir* damals beim Anschlag gegen die Redaktion des «Charlie Hebdo» kollektiv getrauert und hier tut niemand gar nichts!
Ich weiss ja nicht, wie Ihr funktioniert, aber ich funktioniere wie folgt. Wichtigkeit des Ereignis in absteigender Folge:
- Betrifft mich direkt.
Zum Beispiel, ich werde mit einer Waffe ausgeraubt oder verletzt, werde sehr schwer krank.
- Betrifft meine Familie (Eltern, Geschwister, Schwager, Neffe, Nichten) direkt.
Zum Beispiel, Todesfälle, schwere Krankheit, grosser Verlust (Haus brennt nieder o.ä.) etc.
- Betrifft meine Freunde (das sind nicht die von Facebook, sondern im realen Leben).
Beispiele, siehe oben
- Betrifft meine Mitarbeitenden, Team
Ein Kollege/eine Kollegin erkrankt schwer, seine/ihre Angehörigen sterben etc.
- Betrifft meine Umgebung.
Das sind zB, Nachbarn, entferntere Arbeitskollegen, einige Leute aus den Social Media, welche mir vertraut geworden sind.
- Passiert vor meiner Nase.
Zum Beispiel jemand wird angefahren oder verletzt sich bei einem Sturz in meiner unmittelbaren Nähe.
- Betrifft mich indirekt.
Dazu gehören Gesetzesanpassungen, welche meine Rechte beschneiden oder mit denen ich überhaupt nicht einverstanden bin (Themen wie Freiheiten, Steuern, Gleichberechtigung etc.).
- Passiert in einer Situation, in welcher ich auch schon war oder bald wieder sein könnte.
Zu diesem Szenario gehören Zugsunglücke, Flugzeugabstürze etc.
- Passiert an einem Ort auf der Welt, dem ich stark verbunden bin.
zB ein Unglück an einem Ferienort, den ich schon mehrmals besucht habe oder an den ich besondere Erinnerungen habe.
- Sonstige Unglücke
Für mich gehören die Vorfälle im Mittelmeer leider zur Kategorie 10. Nur damit man mich versteht, jeder Verlust von Menschenleben ist tragisch. Und ich glaube, ich habe (im Einzelfall) genügend Empathie zu verstehen, was ein Verlust für die Angehörigen bedeutet.
Aber jede Stunde sterben gemäss dieser Webseite rund 6'400 Menschen. Hoffentlich (tönt jetzt etwas makaber) sterben viele davon nach einem erfüllten Leben, auf eine einigermassen verträgliche Art und Weise und möglichst im Beisein ihrer Angehören.
Aber viele Leute sterben viel zu früh, werden ermordet, sterben bei Naturkatastrophen, hatten schwere Krankheiten oder eben… werden von miesen Menschen (Schleppern) auf noch miesere Kähne getrieben und ertrinken.
Solche und ähnliche Geschichten passierten übrigens auch schon bevor es Twitter und Facebook gab. Sogar schon bevor es Fernsehen und Radio inkl. Reportern gab. Sogar, bevor es das Telefon gab. Die Nachrichten erreichten uns einfach viel später in Form von von Zeitungen und Büchern.
Und konkret? Was machen wir jetzt? Was mache *ich*? Nun, ich bin weder ein Gott, Messias noch ein Superheld (auch wenn ich letzteres manchmal sein möchte). Ich habe also keine Antwort…
Das Problem muss in Afrika gelöst werden. Würdet Ihr Eure Kinder oder Angehörigen in einen bewaffneten Kampf gegen afrikanische bzw. arabische Tyrannen und Herrscher schicken? Eine Brücke über das Mittelmeer bauen?
Darüber könnte (müsste) man wohl mehr als nur einen (kleinen) Blogbeitrag schreiben. Aber vermutlich haben schon Leute mit mehr Zeit und Intelligenz ganz viel darüber geschrieben.
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