U.S. Westcoast 2016, Coast Starlight – Tag 2

Während der Nacht fuhr der «Coast Starlight» rumpeln gen Süden. Ich schlief etwas unruhig, neben dem Schütteln plagte auch die Schiene, aber das kenne ich ja nun zu Genüge.

Wir kamen gegen 6 Uhr nach Sacramento und da war ich dann halbwach, ich versuchte noch einige Zeit vergeblich, den Druck der Blase zu ignorieren, bevor ich mich doch noch entschloss, aufzustehen…

Gegen acht Uhr erreichten wir den Grossraum San Francisco und somit wieder das Meer. Ich genehmigte mir einen French Toast zum Frühstück und hatte eine sehr nette Unterhaltung mit einer vermutlich etwa gleichaltrigen Frau. Als ich sie fragte, weshalb sie den Zug nähme, erklärte sie mir, dass ihr Vater sehr viele Jahre bei Union Pacific gearbeitet hätte und sie schon als Kinder fast immer im Zug unterwegs gewesen wären.

Speisekarte mit Frühstück des «Coast Starlight»

Der Zug bediente Emeryville und Oakland, wo uns viele Fahrgäste verliessen und zuckelte dann weiter südwärts… aber auf der Höhe von Fruitville gab es eine Schnellbremsung. Der Schaffner eilte durch den Wagen und rief laut: «hold the handrails and watch for baggage». Die US-Züge bremsen irgendwie anders, weniger schleifend, mehr stotternd und so kam der Zug nach ein paar hundert Metern zu stehen. Kurze Zeit später meinte Justin, der Schaffner über die Lautsprecher, dass dies ein «Unfortunate trespasser incident» sein könnte und wenn es so sei, dürfte es zwei bis vier Stunden dauern.

Polizei und Unfalluntersuchungsfahrzeuge in Fruitvale, CA

Es war dann so und es dauerte insgesamt ziemlich genau vier Stunden. Polizei, Unfalluntersuchungsteams, Gerichtsmediziner erschienen. Der Lokführer und der Zugführer (Conducter) mussten ausgewechselt werden, bis es endlich weiterging. Anscheinend kämpfen die US-Eisenbahngesellschaften sehr stark mit unaufmerksamen Leuten, die auf und über die Gleise gehen oder fahren und das Prozedere ist sehr standardisiert. Gem. Justin werden von den Loks auch Diagnosedaten heruntergeladen, dazu gehören auch die Daten der installierten Videokameras auf der Lok.

Ich schrieb dem Kon Tiki Inn (Hotel) eine E-Mail, dass es sehr später werden könne, ich aber schon noch erscheinen werde. Zudem schaute ich, ob ich irgendwie die Autovermietung Avis im Flughafen von San Luis Obispo kontaktieren könnte. Es war zwar eine Telefonnummer aufgeführt, aber ich hatte keine Lust, Roaminggebühren für das ja jeweils recht übliche Warteschlangenmusikhören zu bezahlen. Also versuchte ich es via Twitter. Tatsächlich bekam ich nach zwei Stunden (!) eine Antwort (so geht Social-Media), mit der Bitte anzurufen. Ich konnte dann via die Zentrale eine Mail abdrücken und harrte der Dinge. 

Während der Zug nun wieder seinen Weg gen Süden aufnahm, gab es ein spätes Mittagessen. Ich vermisse ja die Zeit, als noch richtig gekocht wurde. Also unten im Speisewagen mehrere Köche Steaks brieten und Kartoffeln schälten. Als die Köche noch über die Menus bestimmen konnten und es noch keinen gewärmten Einheitsbrei gab. Vor allem vermisse ich den Apple Pie à la mode, den es früher zum Dessert gab. Immerhin, im «Coast Starlight» wird die Glacé nicht einfach als Häagen-Dazs Kübelchen auf den Tisch gestellt und mit Plastiklöffel serviert, wie auch schon in anderen Zügen erlebt.

"Menukarte des «Coast Starlight» und ein Vanille-Glacé"

Wir fuhren durch die Landwirtschaftsgebiete zwischen Salinas und Paso Robles, wo in diesem trockenen Land mit viel Bewässerung Gemüse angepflanzt wird.

Gemüsefelder südlich von Salinas
Bewässerte Gemüsefelder bei Elsa, California

Ich dachte erst, dass diese rötlichen Wolken von der Sonne gefärbt seien, da kam mir das Gespräch mit der Frau im Speisewagen in den Sinn. Sie erklärte, dass sie in Paso Robles ihren Sohn besuchen würde und dass es dort so schlimm gebrannt hätte. Und tatsächlich, schaute man in die Sonne, war es klar, dass es Rauchwolken waren.

Rauchwolken über dem halben Tal bei King City, California

Die Karte mit allen Wald- und Buschbränden wurde von/für Google aufbereitet. Riesige Gebiete wurden verwüstet und es ist noch nicht mal richtig Herbst. :-(

Dann kamen wir nach Paso Robles und ich dachte, wir hätten von den vier Stunden Verspätung rund eine Stunde aufgeholt. Denn von Paso Robles bis San Luis Obispo geht es mit dem Auto nur eine halbe Stunde. Der Zug fährt aber nicht die Berge gerade hoch und wieder runter, sondern windet sich in fast eineinhalb Stunden langsamer Fahrt durch die Hügel an der Küste.

Eisenbahnstrecke Paso Robles - San Luis Obispo im Vergleich daneben der (deutlich kürzere) Highway 101

Die Kurven waren atemberaubend eng, das geht hier, da die Wagen mit einer Mittelkupplung ausgestattet sind. Die Fotos durchs Fenster wurden meist nichts. Das Licht war schon zu schlecht und die mit dicken Gummidichtungen ausgestatteten, leicht eingelassenen Fenster lassen nur eingeschränkt Fotos in Längsrichtung des Zuges zu. Nach einem spektakulären «Horse Shoe» der fast so eng wie die Bernina-Bahn bei der Alp Grüm ist, ging es dann geradewegs zum Bahnhof San Luis Obispo, wo ich mit beinahe vier Stunden Verspätung ausstieg und Justin nochmals für die spannenden Gespräche über die Eisenbahn, aber auch das Leben und die Politik dankte.

Da weit und breit kein Taxi zu sehen war, wagte ich mich an meine erste «Uberfahrt» und tatsächlich, schon vier Minuten nach der Reservation erschien Earl mit seinem weissen Hyundai und fuhr mich in knapp 10 Minuten für 12.74 US $ zum Flughafen.

Bei der Autovermietung Avis blickte der Mann nur ganz beiläufig auf meinen Fahrausweis und händigte mir gegen eine einzige Unterschrift (!) die Papiere und den Schlüssel aus. Dauerte nur ein paar Sekunden und schon drei Minuten später sass ich in meinem roten GMC. Ich hätte mir zwar eher eine Limousine vorgestellt, aber für die paar Meilen tut es auch dieser Panzer.

Avis, Mietwagen

Ich kam nicht mal an einer Schranke vorbei, sondern konnte direkt losfahren und war schon eine halbe Stunde später, kurz vor acht Uhr abends in meinem geliebten, wie immer ausgebuchten Kon Tiki Inn in Pismo Beach.

Reception des Kon Tiki Inn am Abend

Nach dem Check-In holte ich mir noch ein Sandwich und ein Sixpack Pale 31, so war auch das kleine Nachtessen gerettet.

Und damit Ihr auch noch wisst, wie es am nächsten Morgen aussah… Kitschig wie immer :-)

Palmen beim Kon Tiki Inn vor dem Pazifik
Urs Donnerstag 15 September 2016 - 8:03 pm | | default

Ein Kommentar

wohlerin
wohlerin, - 16-09-’16 14:52
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