Kindheitserinnerungen - Ferien auf der Tannalp

Auf meinem MacBook Air nutze ich hin und wieder noch das Dashboard. Dort habe ich seit Jahren einen Web-Clip, der mir ein aktuelles Bild der Web-Cam der Camera Alpina von der Melchsee-Frutt zeigt.

Warum? Kindheitserinnerungen…

Mein Vater arbeitete als Dreher im damaligen EIR, heute PSI und brachte die fünfköpfige Familie mit seinem damaligen Lohn gerade so über die Runden. Unsere ersten Ferien verbrachten wir 1969 in Beatenberg. Ein «traumatisches» Ereignis, da wir dort unter anderem bei der Bäuerin im Garten mithelfen mussten. Schnecken ablesen und im Bier ertränken! Unser Fazit: «Gäll Mami, gäll Papi, wir gehen nie mehr in die Ferien!?».

Aber es kam anders… 1970 war ein verlängertes Wanderwochenende angesagt. Mit dem Zug aus dem Aargau nach Luzern, dann mit der Schmalspurbahn nach Engelberg und mit der Luftseilbahn bis Trüebsee.

Trüebsee, Sommer 1970

Von dort aus wanderten wir die rund 450 Höhenmeter bis zum Jochpass. Es war mitten im Sommer und mein Vater – mit einer ähnlichen Frisur, wie ich heute gesegnet – hatte keine Mütze dabei. Um einen Sonnenstich zu vermeiden, war dann ein befeuchtetes Taschentuch mit je einem «Chnopf» in jeder Ecke (zum beschweren) angesagt.

Unterwegs taten wir uns mit einer anderen Familie mit Kindern zusammen, welche das selbe Tagesziel anstrebten, die Tannalp. Aber das hiess nach Plan erst 350 Höhenmeter hinunter zum Engstlensee auf rund 1'850 Meter über Meer, diesem entlang bis zur Engstlenalp.

Während der kurzen Pause auf der Engstlenalp begannen Wolken aufzuziehen. Die Eltern drängten uns, auszutrinken und wir nahmen den Aufstieg zur auf knapp zweitausend Metern liegenden Tannalp unter die Wanderschuhe. Der Wanderweg schlängelt sich teilweise den Felsen entlang und als wir noch rund hundert Höhenmeter von der Tannalp entfernt waren, begann es aus den dunklen Wolken auch noch zu Grollen. Die Eltern mussten uns Kinder von fünf bis zwölf Jahren nicht mehr gross antreiben, denn das Wetter war genug «gfürchig».

Als wir um die letzte Ecke bogen und schon die erste Alphütte sahen, war es dann soweit. Erste fette Regentropfen klatschen uns ins Gesicht.  Der Regenschutz nützte nicht viel (taugte damals auch nicht viel) und so rannten wir die letzten paar Meter bis zur Anhöhe und dann die rund dreihundert Meter zum alten Berggasthaus.

Als wir dort ankamen, waren wir alle längst klitschnass und schlotterten, da es schnell abgekühlt hatte. Grosse Augen dann bei den Eltern, als wir erfuhren, dass alle Betten ausgebucht seien. Was nun? Weiter zur Melchsee-Frutt hätte nochmals rund eine Stunde Wanderung bedeutet, wir waren alle müde von der Anstrengung und es begann einzudunkeln. Der Patron des Berggasthauses meinte dann jedoch, die Käserei, an welcher wir eben vorbeigerannt waren, hätte ein Massenlager, wo wir vermutlich noch Platz fänden. 

Die alte Käserei auf der Tannalp im Jahr 2008

Also ging es die paar Meter zurück zur grossen Alphütte mit dem Schweinestall. Dort sahen wir Licht hinter den Fenstern und klopften an die Türe. Es war eine jener Türen, welche aus einem unteren und einem oberen Holztor mit Schnappschloss/-riegel bestanden. Es dauerte eine Minute und dann schwang die obere Türhälfte auf .Die Sennerin guckte uns nassen Vögel neugierig an. Wir erklärten unseren Wunsch und sie antwortete in einem für unsere Ohren sehr fremdartigen Singsang, dem Obwaldner Dialekt.

Wir traten in die warme, dunkle Hütte und warfen scheue Blicke auf die am Tisch versammelten Sennen und den Käser, das grosse Kupfer-Chessi im Hintergrund und den grossen Ofen. Dann führte uns Therese die sehr steile Treppe hoch in die Stube im ersten Stock und nochmals eine steilere Treppe zum Raum unter dem Dach, wo das Massen-/Matrazenlager war. Es hatte rund 15-20 Liegeplätze, von denen nicht viele belegt waren.

1975 in der Küche der alten Käserei auf der Tannalp

Ob wir uns etwas Essen ausleihen konnten oder noch die Resten aus dem Rucksack verputzten, weiss ich nicht mehr. Die Nacht war eher unruhig, da wir es uns nicht gewohnt waren. Am nächsten Morgen waren die Sachen natürlich noch nicht trocken und unsere Eltern beschlossen spontan, dass wir einen weiteren Tag hier einlegen würden.

So hatten wir die Gelegenheit, in der Frutt vorne einzukaufen und uns dann am Holzofen das Essen zu kochen. Wir erfuhren auch, dass es im ersten Stock auch verschiedene Zimmer (Einzel-, Vierer- und Doppel-Vierer) gäbe. Sonst war die Alphütte sehr einfach eingerichtet.

Die Toilette im ersten Stock ging direkt in die Güllengrube hinunter. Spülen musste man mit einem grossen Wassereimer, den man auf dem Hof am Brunnen unten wieder auffüllen konnte. Scharfer Ammoniakgeruch schlug einem entgegen. War man genug gross, war die Aussicht aus dem kleinen Fensterchen aber je nach Wetter und Tageszeit grandios, denn man blickte direkt auf den Graustock, rechts konnte man auch ein Eckchen des Titlis erspähen.

Blick von der Tannalp auf den Graustock

Da es nur in der Küche/Käserei im Erdgeschoss fliessendes Wasser hatte, hiess das natürlich auch, dass man sich am Brunnen draussen im Hof die Zähne putzte oder sich wusch. Ich glaube, ich muss nicht erwähnen, dass frisches Bergquellwasser seeeeeeehr kalt ist!

Blick von der Tannalp in Richtung Innertkirchen im Jahr 1970

Für uns Kinder waren die paar Tage auf der Tannalp ein kleines Paradies. Frische Bergluft, das Geläut der Kuhglocken, den Sennen beim Melken zuschauen. Aber auch die Einlieferung der Milch beobachten und die Verarbeitung zu den riesigen Laibern mit Sbrinz zu sehen. Frische Bergkäsli geniessen, die erste Buttermilch trinken und natürlich auch die gute Alpbutter aufs Brot zu streichen. Draussen die Bächlein stauen oder schöne Enziane und Alpenrosen bestaunen. Aber halt auch mal in einen Kuhfladen treten. Und natürlich auch Geisslein streicheln.

1970 auf der Tannalp, Geisslein streicheln

Leider ist das Bild hoffnungslos überbelichtet und unscharf, aber mehr gab der Schnappschuss aus Vaters damals schon nicht mehr neuen 35mm Kamera via Dia und Scanner nicht her.

Ich konnte es natürlich nicht unterlassen, am Tannensee jeweils beim Ufer und den zuführenden Bächen zu versuchen, Elritzen von Hand zu fangen.

1970, Blick über den Tannalpsee zur Melchsee-Frutt

Nach dem verlängerten Wochenende war die Rückreise via Melchsee-Frutt - Seilbahn Stöckalp - Postauto Sarnen und mit dem Zug via Luzern und Zürich zurück in den Aargau angesagt. Man roch es, wenn man zurück in die Agglo kam, die Luftqualität war damals noch deutlich schlechter.

Uns gefielen diese Ferien so gut, dass wir danach während rund sieben Jahren jährllich für zwei bis drei Wochen im Sommer wieder zurück kamen. Wir hatten jeweils ein Doppel-Viererzimer. Die Eltern schliefen im vorderen Zimmer, wo wir auch die Rucksäcke und die Esswaren lagerten. Im hinteren Zimmer hatten wir Kinder unser Reich. Und jeden Morgen erwachten wir, wenn der Käser die schweren Sbrinz-Laiber krachend wendete, so dass die halbe Hütte erzitterte. Mit der Zeit entwickelte meine Mutter eine gute Freundschaft zur Sennerin, so dass man sich auch sonst mal anrief.

Es war jeweils eine schöne Zeit und es gäbe noch manche Anekdote zu erzählen. Aber vielleicht ein anderes mal…

Urs Samstag 05 August 2017 - 09:20 am | | default
Stichwörter: , ,

Kein Kommentar

(optionales Feld)
(optionales Feld)
Um automatisiertem Kommentarspam entgegen zu wirken, ist leider dieses Idiotenquiz nötig.
Persönliche Informationen speichern?
Hinweis: Alle HTML-Tags außer <b> und <i> werden aus Deinem Kommentar entfernt. URLs oder Mailadressen werden automatisch umgewandelt.